Auf Nomadenpfaden unterwegs …

Auf Nomadenpfaden unterwegs …

12. April 2019 0 Von sschellh

Nun hat uns doch einmal die Natur eingeholt und spült unsere Reisepläne im wahrsten Sinne des Wortes den Bach runter. Schon unterwegs hatten uns Nachrichten von Hühnerei-großen Hagelkörnern auf Qeshm Island erreicht und später dann massive Überschwemmungen in Shiraz mit mehreren Toten … wir haben ziemlich Glück gehabt, dass wir sowohl die Insel als auch Stadt kurz vorher verlassen hatten. In diesem Jahr regnet es im Iran ungewöhnlich viel und stark, hinzu kommt die Schneeschmelze nach einem ungewöhnlich schneereichen Winter.

Eigentlich steht für uns nun eine Trekkingtour in den Dena Mountains an – etwas skeptisch standen wir der Routenplanung von Anfang an gegenüber, sind doch Gipfel bis 4000m geplant. Die optimistischen Einschätzungen der Teheraner Agentur teilen wir nicht – insbesondere, nachdem uns unser potentieller Guide verkündet, dass der Shelter auf 3500m noch unter 2m Schnee vergraben ist. Er würde die Tour a bissle umplanen … na, Danke! Es gibt Dinge, die brauchen wir nicht! Also beschließen wir die Tour erstmal um zwei Wochen zu verschieben und dann weiterzusehen … vielleicht ist dann zumindest mit dem Regen mal Schluss und es findet sich eine attraktive Alternativroute … Irgendwie sind wir jetzt planlos in Shiraz gestrandet – dudeln noch ein bisschen im Nowruz-Ferientrubel mit … und kaufen einen wunderschönen Teppich!

 
Beim Teppichkauf taucht der Cousin vom Cousin vom Cousin auf und der … bietet uns eine Trekkingtour bei Kazerun an – ohne Überschwemmungen und bei annehmbaren Temperaturen. Zu Gast bei den Qaschqai-Nomaden ist die große Überschrift. Warum eigentlich nicht? Nachdem alle unsere alternativen Routenpläne für zumindest einen Roadtrip durch die Zagrosmountains ebenfalls vom Wasser weggespült wurden … ist es nett, dass da eine Idee einfach so durch die Tür spaziert.
Mohammad fährt uns voraus Richtung Kazerun und schon auf der Anreise stolpern wir an eine Nomadenhochzeit. Um die 800 Leute sind da zu Speis&Trank und Tanz versammelt. Wir platzen direkt ins Mittagessen und – schwups – wird schnell der Tisch für uns gedeckt – ganz diplomatisch im freien Raum zwischen links den Männertischen und rechts den Frauentischen. Alles muss seine Ordnung haben. Kurz drauf startet der Tanzteil … nach und nach strömen insbesondere die Frauen in ihren bunten langen Gewändern auf die Tanzfläche und formieren sich zu einem riesigen Kreis … ein paar Junggesellen bilden ihre eigene Riege … Hochzeit = Brautschau für die Jugend … und nun wird getanzt und getanzt und getanzt …
Aber: Es wird keine Miene verzogen, alle Gesichter ernst und konzentriert – wer lächelt stiehlt der Braut die Show! … bis dann endlich das Brautpaar eintrifft. Die Zwei dürfen nun ebenfalls mittanzen – und die Stimmung entspannt sich zusehends. Mit uns wird schnell noch ein Foto geschossen und dann verlassen wir das Happening, das noch bis in den späten Abend dauert.
 
 
Wir fahren zu einem netten Guesthouse, die „Bishapoor Ecolodge“ wieder im traditionellen Stil restauriert und von einem ehemaligen Bauingenieur geführt und liebevoll gestaltet. Hier hat jemand seine Passion gefunden – Steinmetzarbeiten und zur Gitarre singen liegen Abbas offensichtlich viel, viel mehr als das Ingenieurswesen … er hat sich (und Anderen) ein kleines Paradies geschaffen.
 
 
Am nächsten Morgen kommt ein Anruf von Mohammad – wegen fehlendem Gepäck eines Mittrekkenden wird die ganze Tour um einen Tag verschoben – na gut, wir haben zwar gerade das Auto gepackt und sind zur Abfahrt bereit … also alles Retour und ein Alternativprogramm gesucht. Bazarbesuch in Kazerun … Abbas kommt netterweise mit. Hier schauen wir beim Teppichfilzen zu – schon cool, wie die runden Teppiche frei Hand und ohne jegliche Vorlage gelegt werden … nach unserem Bazarbummel kommt noch Nasrin, Abbas Frau dazu und es wird erstmal Cappuccino (!!) getrunken und eine Runde gequatscht. Nasrin ist Englischlehrerin in Kazerun und erzählt uns viel zur Situation der Frauen im Iran und dem Wandel der Gesellschaft in den letzten Jahren.
 
 
Zusammen schauen wir uns noch zwei (Wein- !!!!!) Dörfer (Davan und Dosiran) in den umliegenden Bergen an und klettern durch Häuserruinen und bestaunen Löwen auf Friedhöfen. Die auf Terassen angebauten Reben um die Dörfer erinnern an den Kaiserstuhl – Wein wird wohl mehr oder weniger unter der Hand produziert ?. Einer Gruppe Frauen schauen wir beim Gemüseputzen zu und lassen uns zeigen, wie sie mit einem großen Stein Mandeln malen, die dann zu einem Frühstücksbrei verkocht werden. Alles endet mit einer Einladung zum Tee … und als ich dann auch noch die bunten Kleider der Damen bewundere ist das der Auftakt zu einer lustigen Verkleidungsaktion. Wieder einmal werde ich unter lautem Gejuchze in lokale Zunft gesteckt und Leute, ich sags euch: Diese Röcke sind echt schwer … ich hatte NUR zwei von denen übereinander an … zu Hochzeiten (wie erlebt) tragen die Frauen bis zu VIER von diesen Teilen übereinander – da wird Tanzen zum Kraftakt !!! Wir hatten jedenfalls mal wieder jede Menge Spaß – leider musste ich auf ein gemeinsames Foto verzichten … dafür waren die Damen dann doch wieder zu schüchtern!
 
 
Zum Abendessen tauchen dann auch Mohammad und Mehdi auf, zusammen mit Thomas, der ebenfalls ein paar Tage bei den Nomaden verbringen möchte. Wieder eine Planungsänderung … wir ziehen am nächsten Tag getrennt los, da Mohammad für uns eine längere Etappe rausgesucht hat. Wir überqueren einen Bergrücken und schlängeln uns durch einen kleinen Canyon – das ganze garniert mit Regenschauern und meistens querfeldein … nach 21 km kommen wir gut ausgelastet im Lager an. Eine Familie, ein Zelt … jede Menge Kruscht liegt drumrum … und mehrere Hütehunde machen ein Riesengetöse. Nachts aufs Klo gehen fällt heute definitiv aus! Wir bekommen erst einmal einen Tee serviert und entspannen uns auf den Nomadenteppichen. Die Kinder probieren ihre drei Sätze Englisch an uns aus und wir betrachten die Umgebung – fühlt sich an wie im National Geographic Channel … nur eben live!
Plötzlich bricht Unruhe im Camp aus und allen steht ein geschockter Ausdruck im Gesicht … in einem klapprigen blauen Mazda Pickup rückt die Staatsgewalt in Form dreier Herren einer Behörde an. Hastig  werden Teppiche ausgerollt, Kissen angeschleppt, die Zuckerdose aufgefüllt, Teller mit Bonbons bereitgestellt, frischer Tee gekocht und die Zigarettenpackung drapiert! Die Drei lassen sich nieder und die Lage entspannt sich ein bisschen. Es wird Tee getrunken, geraucht und Bonbon gelutscht – wir werden als Gäste aus Deutschland mit den üblichen Fragen konfrontiert und wir bringen uns so gut als möglich ein, um die Truppe gnädig zu stimmen. Um 19:30 erwähne ich, dass sie ja lange Arbeitszeiten haben, wenn die Herren um diese Zeit noch im Außendienst sind … Mohammad erklärt uns, dass der Weg ins Office weit sei und die Offiziellen auch über Nacht bleiben werden – ups, das wird eng im Zelt! Inzwischen wird es dunkel – Mustafa hat ein Zicklein fürs Abendessen ausgesucht und seine Frau bringt das Messer … das sei also wirklich nicht nötig … na gut, dann ein Huhn? Also gut, es wird ein Huhn geschlachtet. Der Umgangston von Mustafa zu seiner Frau und Schwiegermutter wurde mit dem Eintreffen der Männer sehr patriarchalisch, diese quittieren dies mit missmutigen Gesichtern während sie das Essen zubereiten. Nach dem Essen sitzt die männliche Gesellschaft ums Lagerfeuer und es wird richtig gemütlich – Mustafa spielt auf seiner Flöte und singt, aber die Herren werden auch subtil von Mohammad, Mustafa und seinen beiden Schwägern einzeln ins Gebet genommen und „bearbeitet“. Gegen 23:00 fallen die ersten Regentropfen und die drei Bürokraten erklären zu unserer Überraschung den Rückzug in die Stadt – feuchtes Zelt scheint nicht ihr Ding zu sein. Nur will die alte Mazda Kiste nicht anspringen und während wir helfen Kissen, Decken und Teppiche ins Trockene zu schaffen, tun Mustafa und seine Verwandten im heftigen Regenschauer alles um den Pickup zum Laufen zu bekommen und die Abfahrt zu ermöglichen. Endlich startet der Motor und kurz darauf sehen wir die roten Rücklichter den matschigen Gegenhang hinauf schlittern – SIE.SIND.WEG!!!! Mit dem üblichen Brandbeschleuniger (Benzin) fabriziert Mustafa eine Wanne glühender Kohlen, um die sich im Zelt alle zur Nachbesprechung versammeln – draußen prasselt der Regen aufs Dach. Die Familie will hier im Winterlager ein Steinhaus errichten – die Steine liegen schon parat, was wohl ein Nachbar den Behörden gemeldet hat und den Besuch provozierte. Das ginge aber nicht … naja, man sollte zumindestens eine Genehmigung einholen … welche durchaus auch positiv beschieden werden könnte – vermutlich werden noch ein paar Hühner ihr Leben lassen. Mustafa und seine Frau gehen auch wieder normal mit einander um – Machotum und Schmollen gehört anscheinend zur Inszenierung dazu … auf jeden Fall unterhalten sich die beiden noch bis tief in die Nacht, während wir versuchen Schlaf zu finden.
Wegen des Regens liegen wir wie die Ölsardinen zu Zweit auf einer Matratze … neben meinem Kopf zappeln immer mal wieder die neugeborenen Zicklein in ihrer Kiste. Aber schön warm ist’s während draußen der Regen prasselt! … dazu immer mal wieder die nervigen Hunde.
 
 
Als ich morgens aufwache, schläft nur noch die 5-jährige Tochter des Hauses – öh, des Zeltes – tiefenentspannt neben mir. Papa ist schon mit den Ziegen unterwegs, der Sohnemann wurde auf dem Moped zur Nomadenschule gekarrt und die Mama produziert fleißig das Fladenbrot – und Chris und Mohammad schauen zu. Die Sonne ist auch wieder da!
 
 
Nach dem Frühstück ziehen wir weiter … nur 7 km sollen es heute sein. (Die Entfernungsangaben sind mit Vorsicht zu genießen …)

Da alle hier irgendwie mit einander verwandt sind bewegen wir uns heute von Tee zu Tee und von Cousin zu Cousine … an jedem Lager wird mal kurz gestoppt, alles andere wäre komplett unhöflich. Die neusten Neuigkeiten werden ausgetauscht, hin und wieder ein Tee getrunken und nebenbei erfahren wir das Eine oder Andere zum Nomadenleben. In ihren Winterquartieren haben die Familien feste Plätze mit klar abgestecktem Gelände – alles andere würde bei der Nomadendichte hier wohl auch unweigerlich zu Reibereien führen. Die Einen wohnen noch in Zelten, während Andere schon ihr Steinhäusle gebaut haben – meist noch mit Natursteinen, aber die jüngere Generation versucht sich jetzt mit Betonsteinen. Laut Mohammad eine Fehlentscheidung im Hinblick aufs Wohnklima – Lehm hält im Winter deutlich wärmer … und wenn’s warm wird kühler. Einige junge Leute haben ihr Glück mit mehr oder minder Erfolg in der Stadt probiert. Es gibt Karrieren als Arzt oder Ingenieur aber auch die Rückkehrer, denen die Arbeitswelt in der Stadt zu stressig war, die keinen Job gefunden haben oder die einfach Heimweh nach der weiten Landschaft und dem nomadischen Lebensstil hatten. Mädchen schaffen es immer noch wenige aus dem Nomadenleben heraus – nach der Grundschule (6 Jahre) helfen sie daheim der Mutter bis zur Heirat, meist im Verwandtenkreis …

Wir kommen an einer Nomadenschule vorbei – in Traumlage … der Lehrerjob scheint auch entspannt zu sein: Als wir vorbei kommen raucht der Lehrer grad im Baumschatten eine der beliebten, dünnen extralangen Zigaretten. Im Zelt plaudern die Kids … Idylle pur. Der Herr nimmt sich auch gerne Zeit für ein Pläuschchen mit uns und erzählt uns ein bisschen übers Schulleben. Schon seit den 50er Jahren ziehen die Schulen zu den Nomaden. In Zelten werden die Kinder in der Nähe ihrer Lager unterrichtet – früher um die 20 Kinder, heute sind es gerade mal 5 Kinder, die wir in der Zeltschule antreffen. Nach der 6. Klasse geht es dann zu Verwandten in die nächste Stadt oder ganz pfiffige kids „dürfen“ in Shiraz auf Internat. … und wieder andere begnügen sich mit 6 Jahren Schulzeit. Insgesamt präsentiert sich die finanzielle Lage der Nomaden recht positiv – im Gegensatz zu den Städtern … der Drang sich hier wegzubewegen scheint in guten Jahren wie diesem niedrig zu sein. Satte Wiesen, gute Viehpreise, niedrige Lebenshaltungskosten … alles nicht so labil wie in den Städten, wo die Menschen massiv unter der Inflation und den Sanktionen von außen leiden. Nach einer gefühlten Stunde werden die Kinder unruhig und auch wir scharren mit den Füßen … weiter gehts durch hohes Gras mit Mohnblumen … Zum Mittagessen sind wir schon am nächsten Lager – etwas trockener, etwas heißer … es ruft nach Mittagsschlaf und danach wird uns ein Bad im Fluss versprochen. Gleich um die Ecke … Chris wäre bei dieser Ansage  beinahe in FlipFlops losgezogen – aus den 1,5km wurden dann irgendwie 4km … im Nachhinein stellt sich heraus, dass Mohammad die Badestelle bisher immer nur per Auto angesteuert hat … Aber es war wirklich zum Reinspringen und auch ich habe mich (zwar mit „Badebluse“) ins Wasser gestürzt und einfach nur gehofft, dass jetzt auf der nahen Straße nicht grad der örtliche Mullah vorbeifährt. Alles gut gegangen ! – erfrischt machen wir uns auf den Rückweg … auch wieder mit ein paar Teestationen. In einem Haus läuft neben Kühlschrank auch der Fernseher und die Jungs schauen konzentriert HEIDI beim Ziegenhüten zu – na, das nenn ich ja mal ein adäquates Kinderprogramm !

Für den nächsten Tag kündigt Mohammad einen langen Rückweg an – wieder zurück über den Bergrücken mit nochmal 200 hm mehr und dann die gesamte Strecke der vergangenen Tage zurück zum Auto … macht ca. 29km … oder so… UMPFFF – Trekkingstrecken planen ist nicht jederMANNs Sache. Ok – dann vielleicht doch lieber durch die Hügellandschaft zum nächsten Dorf … in zwei Etappen a la 15km … oder so ? Am Morgen stapfen wir also hügelauf hügelab querfeldein, die Regenwolken ziehen sich zusammen und nach 4km verlässt mich angesichts dieser sinnfreien Aktion die Motivation. Also runter zur Straße – immerhin einigermaßen eben … aber 20km Straße laufen? Neeee … und hier ist dann auch bei uns mal die Stimmung Richtung Nullpunkt unterwegs! Nicht nur, dass die Trekkingstrecke so bescheiden ist – die gesamte Wetterlage und Planungssituation im Iran geht uns jetzt dann doch auf den Keks. Für alles was wir machen wollten ist das Wetter zu schlecht und für unsere anderen anvisierten Reiseziele – Aserbaidschan, Kasachstan und Kirgistan ist es auch noch zu früh im Jahr! Und nun ???

Zunächst mal haben wir Glück und es kommt tatsächlich schon nach kurzer Zeit ein Auto vorbei. Drei freundliche Qaschqai-Jungs stopfen unsere Rucksäcke in den eh schon vollen Kofferraum und quetschen sich mit uns ins Auto. Sie fahren uns tatsächlich bis zum nächsten Dorf – das wäre laufend elends weit weg gewesen – definitiv mehr als 20km. Dort gibt es erstmal ein Bier (alkoholfrei …) und Chips. Und dann umfahren wir den ganzen Bergrücken mit einem „Taxi“ zurück zu unserem Auto und ab gehts zurück nach Kazerun. Inzwischen schüttet es wie aus Kübeln – zum Glück hatten wir rechtzeitig die Reißleine gezogen – unser Guide schaut allerdings ein wenig bedröppelt … und lässt sich an der Kebab-Bude abholen… von wem? Einem Cousin natürlich. Nett wars trotzdem bei den Nomaden – am Trekkingrahmenprogramm könnte noch gearbeitet werden.

WIR suchen uns erstmal ein Hotel in Kazerun und nehmen uns eine Nacht Auszeit … nach dem Aufwachen ist klar … so gehts nicht weiter – also mal völlig aus dem ursprünglichen Reiserahmen gedacht sind wir uns beide innerhalb kurzer Zeit einig: Südafrika soll’s sein! Saison gecheckt … Flug nach Kapstadt rausgesucht und … GEBUCHT!!! (für den 20.4.) … das Horn von Afrika, Namibia und Botswana … soweit die momentanen Reiseideen … entspannt bummeln wir in Kazerun nochmal durch den Bazar, kaufen eine Zuckerdose, genießen die leckeren süßen Teilchen und zum Abschluss noch einen Cappuccino in unserem Lieblingscafé!