Wer ist Grum Grjimallo ???

Wer ist Grum Grjimallo ???

14. September 2018 2 Von cschellh

Trekking Richtung Fedchenko-Gletscher
– dem größten nicht polaren Gletschersystem unserer Erde

Nachdem der Rest der Gruppe weitergezogen ist, legen Sonja und ich bei Avaz’s Bruder Mulk ein paar Tage Pause in Savnob ein… zur Magenregeneration (Sonja) und einfach mal Seele baumeln lassen (… und Wäsche waschen natürlich …). Mulk verwöhnt uns super mit frischem Gemüse aus seinem Garten. Topchi, unser neuer Guide für die nächsten zwei Wochen kümmert sich sofort herzlichst um uns und führt uns u.a. durch seinen Heimatort.

Einigermaßen erholt geht es wieder los und wir machen uns auf nach Pasor, um von dort das Khafrazdara Tal hinauf zu wandern. Mit Topchi hatten wir den Proviant zusammengestellt (… Einkauf im Dorfladen … Reis, Zucker, Thunfischdosen und … russische Nudelsuppe zum Frühstück… das rettet uns unterwegs einige Male die Stimmung). Zum Glück können wir auch hier auf Mulk’s Garten zurückgreifen – frische Gurken, Tomaten, rote Beete, Karotten und Kartoffeln kommen auf den Speiseplan. In Pasor wartet Hussein mit seinem Esel auf uns – er begleitet uns die nächsten 5 Tage und ist für den Gepäcktransport zuständig.
Wir alle gehen davon aus, dass nach den zurückliegenden Treks die Höhe für uns kein Problem mehr sein sollte. Leider stellt sich heraus, dass der Körper wohl doch mehr Zeit braucht um sich längerfristig umzustellen. Ich habe große Probleme mit der Fahrt von Savnob (2.600 m) nach Pasor (3.200 m) und dem Anstieg des ersten Tages auf 3.900 m – alles extrem anstrengend und Magengrummeln.
Zuerst geht es durch eine enge Schlucht, bevor sich das Tal weitete und in alle Richtungen Blicke auf schneebedeckte Gipfel bis 6.000 m bietet. Unser erstes Camp schlagen wir ziemlich geschafft und durchgefroren neben der Alm von Oscheg auf. Es windet stark und wir sind sehr froh zum Abendessen Unterschlupf in der Alm zu finden. 

Insbesondere Hussein und Topchi sind eigentlich die ganze Tour auf die Infrastruktur der Hochalmen angewiesen. Wie wir unterwegs feststellen, hat Hussein außer einer Edelstahltasse und seinem Esel nichts dabei – gar nichts – keinen Schlafsack, kein Messer, keine Lampe – nada !!! In Pasor war ich noch über seinen vollen Tagesrucksack überrascht, aber der ist bis oben hin mit Fladenbrot gefüllt – ohne das geht in Tadschikistan gar nichts … Topchi hat immerhin einen Schlafsack dabei und wir hatten ihn zum Glück genötigt eine Essschüssel und einen Löffel einzupacken, aber auch sonst NICHTS. Wohlgemerkt: Angesagt war eine 6 – Tages – Trekkingtour bis 4.600 m – na ja, dann halt mit drei Löffeln für vier Leute.

In der Nacht waren zwei Bullen hinter den Kühen unserer Gastgeber her und man hatte Angst um unsere Sicherheit im Zelt  – die Jungs hatten also wenig Schlaf wegen der ständigen Bullenjagd. Oscheg beschließt die Bullen auf die Hochalm zu treiben – weg von den Kühen. So machen wir uns zu fünft mit zwei Bullen und nun zwei Eseln – einer voll, einer kaum beladen – auf den Weg. Immer entlang dem Khafrazdara River, im steten Auf und Ab vorbei an tollen Gebirgsseen und Klasse Aussicht auf Berge und Gletscher. Die Bullen bewegen sich nur widerwillig weg von den Kühen … Teilweise noch höhengeschädigt kommen wir auf der „Hochalm“ an – einer Ansammlung von Steinumfriedungen – und ich bin ziemlich erschöpft.

Nach Zeltaufbau ist Kochen angesagt. Es gab schon in Savnob längere Diskussionen mit Avaz bzgl. Gas- vs unserem Benzinkocher, aber der Gaskocher mit Flasche hätte endgültig einen zweiten Esel erfordert und das hielt Avaz für überflüssig … Nachdem der Whisperlite bereits morgens beim Teewasser geschwächelt hatte, geht jetzt gar nichts mehr! Also : Auseinander bauen, Maintenance Kit, Düse, Benzinleitung, Pumpe … Dann rückt Topchi raus, dass das Benzin aus Savnob schlecht sein könnte … mit Öl gemischt (?) – aha, 2-Takter Gemisch ?. Hussein hatte die letzten zwei Tage eine Plastikflasche mit Ersatzbenzin in der Hand getragen. Benzintausch und die ganze Prozedur von vorne. Nichts zu machen! Der Kocher will nicht! Mit völlig Russ verschmierten Händen und nach Benzin stinkend gebe ich nach über einer Stunde auf … ich könnte das Ding auf den Mond schießen !!! Oscheg hatte das HighTech Drahtgestell eh nur mitleidig beäugt und scheint sich fast zu freuen jetzt mit Kuhdung ein richtiges Feuer zur Verfügung stellen zu können – schnell wird ein Steinherd zusammengebastelt und das Abendessen ist gerettet. Als ich dann nach dem Essen im Dunkeln noch auf einen Felsen donnere und mir eine 2 Cent große Wunde in den Handballen reiße, bin ich restlos bedient. Irgendwie bringt mich diese Tour ziemlich an meine Grenze – physisch und psychisch … wir rufen uns die nächsten Tage noch öfters in Erinnerung, dass diese Unternehmung auf unseren Wunsch stattfindet. Aber die Hilfsbereitschaft unserer tadschikischen Begleiter ist immer wieder aufbauend.

Am nächsten Morgen zeigen Eiszapfen an unserer Waschstelle wie kalt es nachts wurde … wie Hussein hier nachts ohne Schlafsack oder Decke schläft – ein Rätsel! Von hier brechen wir zum Rande des Grum Grjimallo Glacier – einem „Zufluss“ des Fedchenko – als Tagestour auf. Nach ein paar Kilometer kommen wir zu einem Plateau, auf dem zu Sowjetzeiten wohl größere Trainingslager für sowjetische, polnische und tschechische Bergsteiger stattfanden. Man kann sich gut vorstellen wie dies Ausgangspunkt für Touren in die umliegenden Nordwände und zum Peak Revolution (heute: Istiqlol, 6940 m) waren. Ab da geht es nur noch im weglosen Gelände über ausgedehnte Moränen weiter, zwischendurch immer wieder eisige Seen. Auf 4.600 m haben wir einen Blick auf den Peak Revolution und den Fedchenko Gletscher in der Ferne – ein Weitergehen bis zum Grum Grjimallo Rand lässt die Zeit und Kraftreserve nicht mehr zu.

Zurück am Lager berichtet Oscheg, dass zwei der Bullen auf der Hochalm Wölfen zum Opfer fielen – er hat sie in einem Seitental gefunden … Außerdem tauchten drei Tadschiken auf, die uns gar nicht als Bergfreunde erscheinen – einer erinnert mich stark an Räuber Hotzenplotz. Sie wollen auch zum Grum Grjimallo und diesem bis ins nächste Tal folgen. Sie sind völlig unbedarft, müssen sich erst einmal auf unserer Karte orientieren und sind tadschikisch minimalistisch ausgerüstet ?. Meine erste Vermutung – irgendwas mit Drogen – zerstreut Topchi, er glaubt, sie seien auf der Suche nach Edelsteinen in den Moränen. Er glaubt aber auch nicht, dass sie wissen, was sie tun. Egal, wir geben uns als gute Gastgeber und kochen Nudeln mit Tomatensauce für alle. Nach Einbruch der Dunkelheit und vor Mondaufgang werden Oschegs Bullen in der Hochebene total aufgeregt – Wolfalarm! Oscheg und Hussein stürmen sofort in die Nacht mit einer alten Flinte, Holzknüppeln und Benzin zum Feuer legen. Später stellt es sich zum Glück als Fehlalarm heraus – trotzdem sind Wölfe hier im Pamir ständig ein Thema …

Schließlich machen wir uns auf den Rückweg. Zuvor serviert uns Oscheg noch Gushtego – gegrilltes Rindfleisch – was wie immer hoch zelebriert wird. Wir greifen zu und vergessen geflissentlichst, dass gestern Abend ein Beinknochen mit Fleischresten dran aus einem Sack gezogen wurde … Das Tier ist sicher bio aufgewachsen und hat ziemlich artgerecht gelebt, aber das ist wahrscheinlich schon einige Zeit her ?. Oscheg will noch länger bei seinen Bullen bleiben und wir verabschieden uns von ihm.

Die nächsten zwei Tage wandern wir dasselbe Tal zurück, kochen auf dem offenen Feuer und Topchi & Sonja machen abends immer wieder gemeinsam Musik. Neben den uns bekannten Lagerfeuersongs reicht es inzwischen sogar schon für ein erstes gemeinsames tadschikisches Lied … das bei weiteren Musikevents auf unserer Tour die Tadschiken immer besonders erfreut ; )
Während des Abstiegs sehe ich mich übrigens immer wieder im Ganter Biergarten auf dem Weg zur Theke – ein Urtrunk – von hinten rufen die Nieren „hier, jetzt“ … Kurz vor Pasor gönnen wir uns ein Bad im eiskalten Khafrazdara River und waschen endlich Schweiß, Staub und Dreck ab.

In Pasor übernachten wir in einem Homestay im Aufbau – Haus, „Sanitär“-Anlagen und Gästeumgang sind alle noch in der Entwicklung …

Als besondere Attraktion hat Pasor noch eine traditionelle Schmiede zu bieten. Sie ist ein Schrein zu Ehren Davids, dem Schutzpatrons der Schmiede. Wir bekommen eine kleine Demonstration der Schmiedekunst bei unserem Besuch geboten.

Video: